protokoll/ shura

London// Interview// Anna K. Baur, F// Stephanie Sian Smith// Blonde Magazine #37/2016

Ihre Stimme klingt wie eine Umarmung. Sanft, melodisch, fast schon zerbrechlich. Passend zum Titel ihres bisher größten Hits „Touch“, mit dem Shura 2014 das Internet eroberte. Wir sind mit der Wahl-Londonerin im „The Hoxton“ verabredet, einem „Ace Hotel“-Lookalike im Herzen von Shoreditch. Warum sie von allen Orten in London diesen ausgesucht hat, wird uns um Punkt 15 Uhr an der Rezeption des Hotels bewusst. Wir treffen auf Shura, die gerade ihr Zimmer bezahlt. Sie wirkt weniger sphärisch als ihre Musik. Kastenförmige Jacke in Blaumann-Blau, zerrissene Boyfriend-Bluejeans, kein Make-up und Tomboy-Attitude. #shewokeuplikethis! Shura streicht ihre verwuschelten Haare hinters Ohr und erklärt uns, warum sie nicht in ihrer Wohnung in Shepherds Bush schläft: „Hier kann ich abschalten und nichts lenkt mich ab. Ich bin so müde und brauche dringend Schlaf, da ich mir heute Abend Georgia O’Keeffe im ,Tate‘ anschauen möchte, und morgen muss ich schon wieder auf einem Festival in Luzern sein“.  Shuras Debütalbum „Nothing’s Real“ ist gerade erschienen und alle wollen ein Stück von ihr abhaben. Wir auch. Sie nimmt uns und unsere Margaritas einfach mit in ihr Hotelzimmer. Warum nicht zusammen im Bett chillen? „Hotelzimmer und Drinks. Irgendwie wirkt das alles gerade viel zu glamourös. So bin ich eigentlich überhaupt nicht“, verteidigt sich Shura lachend. Wie ist sie denn dann?  „Ich bin eine gewöhnliche Person aus Manchester und ich mag es nicht, fotografiert zu werden. Und eigentlich mag ich auch kein Rampenlicht. Wenn ich auftrete, fühlt es sich immer so an, als wäre ich in meinem Schlafzimmer und aus irgendeinem Grund sind da Leute und hören mir zu.“ 

ÜBER IHR VIDEO ZU „WHAT’S IT GONNA BE” 
„Ich bin sehr inspiriert von John Hughes’ Filmen. ,The Breakfast Club‘ (1985) ist zum Beispiel von ihm. Die Kulissen und der Sound­track seiner Filme sind großartig. Er hat meine Ästhetik und meine Musik stark beeinflusst. Viele seiner Soundtracks haben den gleichen Vibe wie das Zeug, das ich mache. Und ich wollte zu diesem Song ein Musikvideo machen, das wie ein dreiminütiger John-­Hughes-Film ist. Außerdem sollten Leute, die es sich angucken, in der ersten Minute denken, dass sie einen typischen 80‘s-High-School-Film gucken, um dann am Ende überrascht zu werden. Die Menschen können, wenn sie sich das Video ansehen, weinen und lachen. Ich wollte einfach etwas nehmen, das wir schon hundertmal in unzähligen Filmen gesehen haben, und  es dann ändern.“

ÜBER IHR COMING-OUT 
„Ich hatte nicht wirklich ein Coming-out. Mein Zwillingsbruder hat sich vor mir geoutet. Ich war mit ihm eh schon im Gay Village von Manchester unterwegs. Und dann hat sich jeder schon gedacht, was los ist. Und mit 16 Jahren hatte ich dann meine erste Freundin. Sie blieb etwas öfter über Nacht als eine ,normale‘ Freundin und mein Vater fragte, ob er annehmen soll, dass sie meine Freundin sei, und ich sagte: ,Hört sich für mich ganz gut an.‘

ÜBER VORBILDER
„Ich wäre wirklich glücklich, wenn die Leute meine Videos gucken und sehen, wie ich mich anziehe. Ich bin ein Tomboy und das ist okay, und wenn sie das inspiriert, wäre das großartig. Aber ich würde nie sagen, dass ich ein Vorbild für Tomboys bin oder für Geeks, weil es nicht meine Entscheidung ist. Das heißt nicht, dass Vorbilder nicht toll wären, aber du musst die Leute entscheiden lassen, wer ihre Vorbilder sind. Dass Wichtigste ist, man selbst zu sein, nur so kann man Leute inspirieren.“

ÜBER AUTHENZITÄT IN DER MUSIKINDUSTRIE 
„Ich bin mir sicher, dass manchen gesagt wird, dass sie nicht erwähnen sollen, dass sie homosexuell seien, und vielleicht sogar vortäuschen sollen, dass sie einen Freund haben. Mein Label hat nie etwas in dieser Art zu mir gesagt. Aber ich habe auch mein Musikvideo gemacht, bevor ich einen Plattenvertrag hatte. Das Video war voll von unterschiedlicher Sexualität und Hautfarben. Ich habe zu meinem Label schon vorab gesagt, dass ich so bin und mich so anziehe und das nicht ändern werde. Sie meinten, dass sie es lieben und ich auf jeden Fall so weitermachen soll.“

ÜBER TALIB KWELI 
„Er hatte eine E-Mail-Adresse auf Facebook angegeben und wir haben ihm einfach geschrieben. Wir haben gefragt, ob er zu ,Touch‘ einen Rap machen könne, und er meinte: yeah! Wir waren selbst überrascht, dass es so einfach war. Aber manchmal muss man die Leute einfach fragen. Die meisten haben solche Angst davor, aber was kann denn im schlimmsten Fall passieren? Dass er nein sagt und dann? Fragst du einfach jemand anderen. Ich erinnere mich noch daran, wie er die erste Version schickte und ich Talib Kwelis Stimme das erste Mal über meinem Song hörte. Ich konnte es nicht fassen. Ich bin so ein großer Fan. Es war so bizarr, aber gut.“

ÜBER SICH 
„Ich wollte immer eine sehr coole und entspannte Person werden. Eine, die immer Sonnenbrillen trägt. Sehr rock’n’roll. Aber so bin ich letztendlich nicht geworden. Ich dachte, ich werde ein Rockstar, und was mache ich? Popmusik. Und ich bin schüchtern und auch ein bisschen trottelig. Aber langsam lerne ich diese Person kennen, die Person, die ich bin, und nicht die, die ich immer sein wollte. Ich gewöhne mich daran. Na ja, ich habe Glück. Wenn du Musiker bist, denken die Leute, dass du cooler wärst und mehr Sex-Ap­peal hättest, als es tatsächlich der Fall ist. Solange ich Musikerin sein kann, funktioniert das für mich also ganz gut.“